Artikel in der HAZ vom 20. Juli 2000
Würdiges Sterben zu Hause bei den Angehörigen
Rebekka Neander, HAZ, 20. Juli 2000
Diesen Wunsch vieler Todkranker kann ein Ambulanter Hilfsdienst des Hospiz Luise erfüllen. Doch vorerst kann ein solcher Service fast nur durch Spenden finanziert werden.
Zu Hause sterben dürfen
Ein beinahe freundliches Brummen, wie von Flugzeugmotoren, erfüllt die Wohnung. Doch wer das Schlafzimmer von Ernst und Hannelore Schmidt (Namen geändert) betritt, wird rasch auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt:
Ein Generator in Form eines weißen Kastens neben dem Bett erzeugt das jetzt dröhnend erscheinende Brummen: Er läßt 24 Stunden am Tag die Wechseldruckmatratze behutsam auf- und abschwellen, um Hannelore Schmidt die argen Schmerzen zu lindern. Gegen den Tumor in ihrer Wirbelsäule kommt ihr Körper nicht mehr an. Aber ein letzter Wunsch scheint erfüllt zu sein: Zu Hause sterben zu dürfen.
Das verdankt sie zwei Menschen: Ihrem Mann und Carsten Rumbke, Krankenpfleger und Mitarbeiter des einzigen Ambulanten Palliativ-Dienstes (APD) in Hannover, einem Kind des Sterbe-Hospiz Luise in Kirchrode. Eine „palliative“ Therapie ist eine Methode, die die Krankheit und ihre Symptome gezielt zu lindern und zu mildern versucht. Nach vielen erfolglosen Behandlungen im Krankenhaus, einem halben Dutzend Naturheilverfahren, Bestrahlungen und fünfzehn Chemotherapien brachten diese beiden es fertig, daß Hannelore Schmidt nicht nur unter Protest das Krankenhaus verlassen konnte, sondern trotz der aufwändigen Schmerztherapie zu Hause bleiben durfte.
„Sie fühlte sich im Krankenhaus nur noch wie ein Stück Fleisch“, erinnert sich Rumbke. Und so konnte weder das Unverständnis des Krankenhauspersonals noch der Kommentar des Hausarztes, „die ist doch kaputt“, das Ehepaar von ihrem dringlichsten Wunsch abbringen: Jede ihnen verbleibende Minute zusammen zu verbringen – zu Hause. Ein Wunsch, den laut Rumbke neun von zehn Menschen haben, aber laut Statistik nur für jeden zehnten wahr wird. Und auch nur zufällig waren die Schmidts auf den APD gestoßen.
Rumbkes Auftrag klingt, zieht man in Betracht, daß er vom Hospiz kommt, etwas eigentümlich: „Wir wollen Hospize überflüssig machen“. Wie das Hospiz Luise versucht der APD, dem noch die Krankenschwester Adelheid Werner angehört, seit zwei Jahren Sterbenden auf ihrem letzten Weg professionell zu begleiten. „Wenn jemand da ist, der Zeit hat“, sagt Rumbke, „und jemand, der den Angehörigen anleitet, kann jedes Zuhause ein Hospiz sein“. In den wenigsten Fällen scheitere dies an technischen Voraussetzungen. Meist fehle es bei Ärzten und Patienten schlicht am Wissen, was außerhalb von Krankenhäusern alles möglich ist.
Maßgebender Unterschied zwischen dem APD und den ehrenamtlichen Hospizdiensten, die Patienten zu Hause besuchen, ist die professionelle Anleitung, die Rumbke bei Nachfrage auch den Pflegediensten an die Hand gibt. „Menschen, deren Krankheit nicht mehr heilbar ist, leiden oft an sehr unangenehmen Begleiterscheinungen wie Übelkeit oder sehr starken Schmerzen“ berichtet Rumbke. Hier sei eine „palliative“ Therapie gefragt.
Doch diese Fachrichtung fehle noch immer sowohl im Medizinstudium als auch in der Ausbildung des Pflegepersonals. Auch in den Abrechnungskatalogen der Kranken- und Pflegekassen ist davon verschwindend wenig zu lesen. Wer, wie Rumbke, praktische Ärzte anleiten muß, Rezepte für Morphium etwa nach Betäubungsmittel-Richtlinien auszustellen oder mit einem Angehörigen das Reinigen eines Katheters übt, bekommt dafür außerhalb von Krankenhauswänden nur in Ausnahmefällen Geld. Carsten Rumbke erhält seine Bezahlung nur, weil sein Arbeitgeber sein Gehalt über Spenden finanzieren kann. Die zweite Stelle bezahlt die Stadt Hannover. Für Patienten, Ärzte und Pflegedienste ist die Arbeit des APD kostenlos.
„Die sind in eine ganz große Lücke gestoßen“, sagt Anke Reichwald voller Begeisterung über den APD. Die Krankenschwester zeichnet für das Uhlhorn-Hospiz verantwortlich, eine Kooperation von Friederiken- und Henriettenstift in Buchholz. Einen professionellen ambulanten Dienst könnten sie sich nicht leisten. Nach vorherrschender Finanzierungspraxis der Kassen ginge dies nur auf Spendenbasis.
Hannelore Schmidt ist aus Angst vor zu plötzlichen Schmerzattacken doch in ein Hospiz umgezogen, wo sich ihr Mann um sie kümmern kann wie zu Hause. Doch sind sich alle sicher: Daß sie das Krankenhaus verlassen hat, hat ihr Leben in würdiger Weise verlängert. Das Brummen in der Wohnung ist nun verstummt. Vielleicht werden sich die Nachbarn darüber wundern. Der Grund jedoch wird ihnen verborgen bleiben. Ernst Schmidt hat nie jemandem erzählt, daß er seine Frau zu Hause pflegt. Aus Angst, man hätte ihn nicht verstanden.