"Den Hospizgedanken leben" - Anne Woegens im Ruhestand
„Den Hospizgedanken leben“ - Palliativ-Care Pflegekraft Anne Wögens ist im Ruhestand
„Wasser und Strand – da kann ich wunderbar Abschalten.“ Das ist ihr herzlich gegönnt: Anne Wögens ist seit Oktober im Ruhestand, nach 45 Jahren Arbeit als Krankenschwester bzw. Pflegekraft. Fast 23 davon hat sie im Hospiz Luise im stationären Dienst gearbeitet, mal in Teil- und mal in Vollzeit. Auf Föhr ist sie aufgewachsen und dorthin geht es immer wieder zurück, ohne ihr zweites Zuhause in Barsinghausen aufzugeben. „Mein Elternhaus ist Anlaufpunkt für die Familie geblieben, auch für meine beiden Kinder und die Enkel.“ Der Blick zurück gibt zugleich Einblicke in Veränderungen im Pflegeberuf in den letzten Jahrzehnten:
Wie und wo bist du ausgebildet worden? Mit 16 Jahren habe ich in Husum die Ausbildung im Diakonieverein begonnen, danach war ich drei Jahre in Hamburg-Bergedorf. Das war noch die „harte Schule“ von Diakonissen, fast wie im Kloster. In der Zeit lernte ich auch meinen späteren Ehemann kennen. Über Stationen in Essen und auf Föhr sind wir dann 1990 in Barsinghausen gelandet, da sind auch mein Sohn und meine Tochter aufgewachsen. Nach der Trennung von meinem Mann begann ab 2000 die Zeit im Hospiz Luise, 2002 habe ich die Ausbildung zur Palliative Care-Pflegekraft gemacht.
Was hat sich verändert im Umgang mit Sterben und Tod in der Pflege? In der Ausbildung wurden wir gar nicht auf diese Themen vorbereitet, und wenn Kranke sterbend waren, gab es keine gute Begleitung. Das Thema begleitet mich persönlich aber schon lange: Mit sechs Jahren habe ich den Tod meiner Oma erlebt, durfte aber dann nicht mit zur Trauerfeier. Ich weiß noch, dass ich das doof fand. Kinder sollte man ernst nehmen mit ihren Fragen rund um den Tod. Später habe ich einige Angehörige begleitet und viele Zusatzqualifikationen gemacht, vom Ausdrucksmalen bis Gesprächsführung. Das hat mir sehr geholfen, privat und beruflich. Außerdem gehört Supervision grundsätzlich im Hospiz dazu, das ist für alle wichtig.
Was genau unterscheidet Hospiz- und Palliativpflege von „normaler“ Krankenpflege? Wir nehmen die Menschen ganzheitlich wahr, nehmen uns viel Zeit und gucken, was braucht dieser Mensch, was ist jetzt „dran“. Viele bringen schon eine lange Kranken- und Leidensgeschichte mit – aber trotzdem gab es oft keine Zeit für Gespräche oder so etwas wie Krankheitsbewältigung. In der palliativen Pflege werden dann komplementäre Anwendungen wichtiger, wie rhythmische Einreibungen, Wickel oder Bäder. Vor allem geht es aber darum, die Angst zu nehmen. Dazu braucht man vor allem Zeit.
Was wünscht du dir für die Zukunft der Pflege? Der Papierkram nimmt zu und Papier ist geduldig, da kann man viel aufschreiben und abheften. Man muss aber den Hospizgedanken leben und ernst nehmen – der Mensch muss im Mittelpunkt bleiben. Man muss auch darauf schauen, dass alle eine gute Ausbildung haben, fachlich auf dem gleichen Stand sind und auf dem Laufenden bleibt, was Pflege betrifft. Für das Hospiz hoffe ich, dass man eine wohnliche und freundliche Atmosphäre behalten kann, trotz aller Hygiene- und sonstigen Auflagen, die wir beachten müssen.
Wie gehst du mit den vielen Abschieden um, die dich bei deiner Arbeit begleitet haben? Es ist sehr unterschiedlich. Und das gehört auch dazu: Wir sind alle sehr unterschiedliche Menschen – das ist auf der Patientenseite genauso wie beim Personal. Das passt mal mehr oder weniger gut zueinander. Wichtig ist, dass wir genau auf die Unterschiede achten und den Dienstplan möglichst individuell gestalten, auch wenn das nicht immer klappen kann. Und es ist wichtig, einen guten Ausgleich zu haben.
Was ist ein guter Ausgleich für dich? Gute Freunde und die Familie, viel Abwechslung – und die Insel Föhr mit Wasser und Strand, da kann ich sehr gut abschalten. Mir hat aber auch das Basteln für die Weihnachtsbude viel Spaß gemacht oder der Einsatz für das Sommerfest.
Was hat der Umgang mit Sterben und Tod dich über das Leben gelehrt? Für mich gehört der Tod einfach dazu, es ist völlig normal geworden, darüber zu reden. Es ist ja auch wichtig, dass wir über alle Fragen sprechen können; dass wir miteinander weinen oder lachen. Und dass wir allen anderen Mut machen, darüber zu sprechen – auch über die Trauer. Ich habe viele Jahre das Trauercafé oder die Trauer-Nachsorge gemacht und das war mir auch immer wichtig. Was man aber sagen muss: Es gelingt nicht immer ein friedlicher Tod, oder dass alles gelöst und geklärt werden kann. Ganz schlimm war es in der Pandemie, da haben manche Menschen Schlimmes erlebt, auch in den Krankenhäusern oder Heimen, weil sie sich eben nicht verabschieden konnten.
Was denkst du, was nach dem Tod kommt? Ich habe meinen Glauben und denke, dass die Seele weiterlebt. Es gibt auch viele Erlebnisse am Krankenbett, die das bestätigt haben. Ich nehme es ernst, wenn Angehörige sagen ‚mein Mann ist noch bei mir‘ oder plötzlich ein Windstoß vom Fenster herkommt. Diese Ahnungen, wenn es zu Ende geht, dass jemand noch auf einen Besuch wartet, bevor er stirbt – oder andersrum - zu gehen, bevor noch jemand kommt, das ist schon besonders. Jede und jeder geht dabei den eigenen Weg und stirbt, wie er oder sie auch gelebt hat. Für meinen eigenen Tod habe ich die Vollmachten und Verfügungen bereits ausgefüllt, das wissen auch meine Angehörigen. Ich wünsche mir aber, lange gesund zu bleiben und vielleicht sogar 100 Jahre alt zu werden. Aber das ist so oder so schon festgelegt.
Wie geht es ab Oktober für dich weiter? Ich denke nicht, dass ich in ein großes Loch falle. Ich habe viel vor, ich habe dazu auch ein sehr buntes Bild gemalt. Ich freue mich sehr darauf, erstmal nach Föhr zu fahren. Und im November wird mein Sohn Papa, das sind schöne Aussichten. (Das Gespräch führte Hilde Weeg)